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Dies & Das ⇨ Liliput

Liliput Gebläseorgel

Zuerst eine kurze Beschreibung für Eilige

Das Original

Die traditionsreiche deutsche Firma Hohner baut nicht nur Akkordeons, in den 1950ern wurden auch kleine Gebläse­orgeln auf den Markt gebracht. Das Liliput ist so ein Instrument, irgendwas zwischen Klein­harmonium, Tischorgel und Spielzeug­klavier. Ich vermute der Hersteller hat einfach die Diskantseite eines kleinen Akkordeons in ein Sperrholz­gehäuse gepackt und eine Windlade mit elektrischem Gebläse darunter geschraubt – fertig ist das elektrische Klein­instrument für den Heimgebrauch. Die Holz­konstruktion sieht nicht nur richtig retro aus, sie ist auch ein schöner Resonanz­boden für die Pfeifentöne. Leider verstärkt sie auch allerlei Rumpeln und Klappern der Tastatur und das Motoren­brummen.

Als stolzer Besitzers eines Hohner-Liliput hatte ich es vor Jahren mal in einem Kinderlied eingesetzt und musste bei der Mischung mit viel DSP-Aufwand den akustischen Beifang von Motor und Mechanik rausrechnen. Da entstand die Idee die verschiedenen Geräusche des Kästchens separat zu sampeln, um daraus ein virtuelles Instrument zu machen, das alle klanglichen und akustischen Eigenschaften detailgetreu nachbildet und regelbar macht.

Liliput GUI
Der digitale Nachbau

Mein erstes komplexes virtuelles Instrument besteht streng genommen aus zweien: Zum einen das schlicht Liliput genannte, welches die guten und weniger guten Eigenschaften des Originals nachbildet – mit all seinen Macken und Besonder­heiten. Sinn und Funktionen der ganzen Bedien­elemente der Oberfläche werden weiter unten ausführlich beschrieben – fürs Erste reicht es wenn Sie wissen, dass der Motor nach dem Einschalten etwas Zeit braucht, um auf Touren zu kommen um somit genug Wind für die Klangzungen zu produzieren. Und weil man beim Musizieren nicht immer alle Macken des Originals benötigt habe ich noch ein zweites Instrument, den Lilput-Player gebaut. Der Fokus liegt hierbei nicht auf Authenzität, sondern auf dem Nutzen fürs Spielen: größerer Tonumfang, weniger Tasten­geklapper, kein Motor­geräusch und bessere Ansprache der Klangzungen.

Download

Sie können die beiden Instrumente für Kontakt hier kostenlos downloaden und auch für komerzielle Zwecke lizenzfrei einsetzen. Die Samples und das ganze Drumherum sind im Download als offene Daten enthalten – falls Sie keinen Kontakt-Player besitzen oder irgendwas anderes mit den Samples anstellen wollen. Wenn Sie das virtuelle Instrument nützlich finden und irgendwo einsetzen freue ich mich über eine kurze Nachricht. Ich bin einfach neugierig was Sie mit dem Liliput so anstellen :-)

 

Und jetzt die ausführliche Beschreibung

Die Klangzungen

Anfangs dachte ich noch, dass es simpel sei so eine kleine Orgel zu sampeln, denn sie hat ja keine Dynamik und ich muss auch keine Round-Robin-Layer aufnehmen – aber bei näherer Betrachtung habe ich ein interessantes Detail ausgemacht: je nach Spielweise sprechen die Klangzungen unterschiedlich schnell an. Bei den tieferen Tönen kann man es gut hören: Spielt man eine bestimmte Taste sozusagen aus der Ruhelage heraus braucht der Ton eine gewisse Zeit zum Einschwingen; zuerst strömt etwas Nebenluft hörbar an der Klangzunge vorbei bevor diese einschwingt und den eigentlichen Ton erzeugt. Orgelbauer nennen dieses Nebenluft­geräusch spucken. Wenn man aber dieselbe Taste gleich nochmal anschlägt ist der Ton sofort da und die Pfeife spuckt nicht. Ich vermute das liegt daran, dass die Klangzunge nach Tonende noch etwas nachschwingt und daher nun schneller anspricht. Es geht hier also nicht nur um verschiedene Attac-Zeiten, sondern um unterschiedliche Klänge im Einschwingen! Daher habe ich alle Töne zweimal direkt hintereinander gesampelt. Mit dem zweiten Regler von rechts kann zwischen langsamer Ansprache mit Nebenluft und schneller ohne umgeschaltet werde.


Der erste Ton „spuckt“, die Wiederholung nicht!

Und weil es meines Wissens keinen Midi-Parameter gibt für „wie lange ist dieser eine Ton schon her“ habe ich ein Script geschrieben das bei jeden einzelnem Ton das genau misst und dementsprechend zwischen schneller und langsamer Ansprache umschaltet. Dazu dient die dritte Einstellung automatisch.

Das Klappern beim Drücken einer Taste

Klappern gehört zum Handwerk, das gilt für kleine Gebläse­orgeln offensichtlich ganz besonders. Die Pfeifentöne der Orgel haben zwar keine Dynamik – das starke Klapper­geräusch der Tastatur umso mehr! Und jede Taste klappert auch anders. Daher habe ich das Geräusch jeder Taste extra gesampelt. Und mehr noch, denn auch hier lohnt ein Blick auf Details: Wenn man eine Taste drückt geht zu allererst das Ventil auf und der Ton schwingt wie oben beschrieben mehr oder weniger sofort ein. Unmittelbar darauf schlägt die Taste unten im Gehäuse klappernd auf. Daher entstehen bei einem lauten Anschlag (hohe Velocity) Klappern und Orgelton praktisch gleichzeitig, bei einem leisen (geringe Velocity) nacheinander. Auch das wird im Detail so nicht durch Midi-Parameter abgebildet, daher habe ich das Tastatur-Anschlag-Geräusch für alle Tasten in drei Velocity-Layern etxra gesampelt.

Das Klappern beim Loslassen einer Taste

Beim Loslassen einer Taste geschieht im Prinzip Ähnliches, der eigentliche Orgelton bricht sofort ab, aber das Geklapper klingt verschieden: beim langsamen Tasteheben hört man es kaum; beim mittelschnellen schon mehr, wenn auch etwas später; beim schnellen klapperts gleichzeitig und ziemlich laut. Daher gibt es für jede Tasten auch drei verschiedene Release-Samples. Insgesamt gibt es also bei gerade mal 25 Tasten und Tönen ganze 150 Klapper-Geräusche. Das hört sich vielleicht etwas übertrieben an, aber wer das echte Liliput-Instrument spielen darf merkt, dass die Spielweise dem Instrument durchaus eine gewisse Dynamik verleiht, wenn auch nicht mit den Orgeltönen selber. Wie gesagt, Klappern gehört zum Handwerk…

Attack- versus Releasevelocity

Und hier das nächste Detail der kleinen Orgel welches mir nie aufgefallen wäre, wenn ich nicht so genau hingehört hätte: Die Geschwindigkeit (bzw. Anschlags­dynamik (bzw. Lautstärke)) beim Niederdrücken einer Taste ist eine andere sein als beim Loslassen! Sampler wie der Kontakt-Sampler nutzen meistens die jeweilige Attack-Lautstärke für eventuelle Release-Samples, was ja durchaus sinnvoll ist wenn das Release-Sample am eigentlichen Ton-Sample dranhängen soll. Aber hier beim Liliput geht es um ein ganz eigenes Geräusch, das beim Loslassen der Taste entsteht, und das kann eine ganz andere Velocity als der Anschlag haben. Der ganz rechte Regeler trägt dem Rechnung: bei der oberen Einstellung Attack haben die Release-Samples die gleiche Lautstärke wie der Anschlag der jeweiligen Taste, was dem üblichen Verhalten von Samplern entspricht. Viel cooler und authentischer wäre die dritte Einstellung Midi bei der die tatsächlich performte Release-Velocity den jeweiligen Release-Sample-Layer triggert. Nur leider unterstützen nur sehr wenige Master­keyboards eine echte Release-Velocity und ich bin leider noch nicht dazu gekommen, das Feature zu implementieren. Statt dessen habe ich einen dritten Weg programmiert bei dem das Timing bzw. das Tempo der Performance eine entscheidene Rolle spielt. Ein Script überwacht beim Loslassen einer jeden Taste wie lange diese zuvor niedergedrückt wurde. Wurde sie länger gehalten wird sie in der Regel auch langsamer gehoben (kaum Klappern), wird die Taste dagegen schnell gespielt wird sie auch schnell losgelassen (mittleres Klappern) – aber wenn man bei einem Tasten­glissando oder Ähnlichem über die Tastatur rutscht dann schnappen die Tasten unkontrolliert zurück und haben eine hohe Velocity. Da beim Original die klein­mensurierte und kurzhubige Akkordeon­tastatur zu allerlei Gleitfingersätzen und Glissandi verleitet war es mir wichtig, dieses charakteristische Release-Geklapper zu realisieren. Auch wenn solche Spieltechniken bei einem ausgewachsenem Masterkeyboard weniger Spaß machen…

Das oben beschriebende Feature mit der tatsächlichen Release-Velocity werde ich vielleicht in einer späteren Version nachreichen – fürs erste habe ich vermutlich genug mit Midi-Kanonen auf meinen kleinen Orgel-Spatz geschossen.

Motorgeräusche

Ohne den Gebläsemotor läuft beim Liliput gar nichts. Ich hab einigen Aufwand betrieben, um sein Verhalten und Einfluss auf die Klangerzeugung nachzubilden. Halten Sie einfach mal einen Akkord oder Cluster mit einer Hand gedrückt während Sie den Motor an- bzw. ausschalten, dann wird sich auch Klang der Töne passend zur Motordrehzahl ein- bzw. ausblenden! Man kann regelrecht auf der Motordrehzahl surfen.

Schlussbemerkung

Natürlich kratzt sich jetzt der geneigte Leser am Kopf und fragt sich wieso ich soviel Aufwand mit einem vergleichsweise primitiven Instrument betreibe? Zuerst mal war es nur ein Hobbyprojekt an langen Winterabenden für mich, dabei habe ich aber auch viel über virtuelle Instrumente, Sampler, GUIs, und über Programmierung und Scripting gelernt. Mein Liliput ist ein netter kleiner Spinoff für Sie davon.